Der Tag der Amokfahrt in der Trierer Fußgängerzone

Nach langer Schreibblockade möchte ich heute den vorliegenden Beitrag veröffentlichen, den ich über einen Zeitraum von knapp zwei Wochen verfasst habe und in dem es um ein Ereignis geht, das sich ebenfalls vor etwas über zwei Wochen hier in der Trierer Fußgängerzone abgespielt hat, von dem ich selbst aber nur passiv betroffen war.

Der Beitrag schildert, wie ich dieses Ereignis in Trier (mein derzeitiger Wohnsitz) erlebt habe und welche Gedanken und Gefühle mich daraufhin begleiteten. Einfach zum loswerden.

Mann rast mit Geländewagen durch Trierer Fußgängerzone

Am 01. Dezember 2020 raste gegen 13:45 Uhr ein Autofahrer mit einem Geländewagen gezielt durch den am meisten frequentierten Abschnitt in der Trierer Fußgängerzone und überfuhr auf einer Strecke von ungefähr 600 Metern im Zickzackkurs absichtlich mehrere Menschen. Einige davon starben, während diejenigen, die weniger Unglück hatten, teilweise schwer verletzt im Krankenhaus und/oder traumatisiert sind. Zum Zeitpunkt der Beitragveröffentlichung kämpfen im Krankenhaus immer noch Menschen um ihr Leben.

Laut einem Augenzeugenbericht hatte das Fahrzeug, das von einem 51-jährigen Mann aus Trier gelenkt wurde, bei seiner Amokfahrt durch die Innenstadt ungefähr 70 Stundenkilometer drauf. Der Mann fuhr von der Konstantinstraße (beim Modehaus Marx) aus kommend in die Fußgängerzone und bog dann an der Kreuzung (bei der Bibelhausener Mühle) nach rechts in die Brotstraße ab, in der ich auch oft einkaufen gehe. Von dort aus raste er dann die Fußgängerzone entlang in Richtung Hauptmarkt und Porta Nigra, hinterließ Chaos und Verwüstung und bog dann abschließend nach rechts in die parallel zur Theodor-Heuss-Allee liegende Christophstraße ein, die in Richtung Hauptbahnhof/Ostallee führt. Dort stoppte er sein Fahrzeug und wurde Widerstand leistend von der Polizei festgenommen, die innerhalb kürzester Zeit zur Stelle war.

Unter den bisher fünf Todesopfern befinden sich ein neun Wochen junges Baby, der dazugehörige 45-jährige Vater (die Ehefrau und der einjährige Sohn befinden sich verletzt im Krankenhaus), eine 25-jährige Jurastudentin sowie eine 52-jährige Berufsschullehrerin und eine Rentnerin im Alter von 73 Jahren. Neben der Ehefrau und des Sohnes des 45-jährigen Vaters wurden insgesamt noch weitere 24 Personen verletzt.

An dem Tag hätte es mich auch erwischen können

Zu dem Zeitpunkt, an dem der Amokfahrer in die Innenstadt einbog, wäre ich mit großer Wahrscheinlichkeit auch an der Kreuzung Konstantinstraße/Brotstraße gewesen, wenn ich mich nicht gegen 13:20 Uhr bewusst dazu entschieden hätte, vor dem Lebensmitteleinkauf doch noch etwas zu essen. Ich wollte – wie immer – zum Rewe in der Trier Galerie und an diesem Tag zusätzlich noch zur Bäckerei Die Lohners in der Brotstraße, an der der Amokfahrer gegen 13:45 Uhr vorbeifuhr. Wenn ich also – wie geschätzt – um 13:30 Uhr von meiner Wohnung in Trier-Ost los gegangen wäre, wäre die Wahrscheinlichkeit groß gewesen, dass ich entweder auch erfasst worden wäre oder (vermutlich eher) hautnah hätte miterleben müssen, was passiert ist.

Da ich dann aber doch erst einmal Essen kochte und mich danach noch mit anderen Dingen beschäftigte, ging ich erst spät um 17:40 Uhr los zum Lebensmitteleinkauf in die Innenstadt – und wusste zu dem Zeitpunkt noch gar nichts von dem Ereignis, obwohl ich in der Zwischenzeit von meiner Wohnung in Trier-Ost bei geöffnetem Fenster die Polizeisirenen und Hubschrauber hörte, bei denen ich mir aber nichts bei dachte (normaler Hintergrundlärm einer Stadt, über den ich nicht weiter nachdachte). Als ich von der Mustorstraße aus kommend in der Innenstadt beim Modehaus Marx ankam, sah ich die erste Polizeiabsperrung und zwei Polizisten. Ich musste dann einen kurzen Umweg gehen und sah, dass offenbar ein größerer Bereich abgesperrt wurde und überlegte kurz, warum. Ist etwa ein größerer Fall von Corona ausgebrochen?! Nein... Ergibt keinen Sinn.

Ich schlenderte dann die Konstantinstraße entlang, an der Modekette C&A vorbei und sah dort, dass die Bäckerei Bibelhausener Mühle offenbar geschlossen hat. Habe ich einen Feiertag verpeilt?! Moment, da ist ja noch eine Polizeiabsperrung an der Brotstraße! Ich möchte doch zur Bäckerei! Als ich dann an der Polizeiabsperrung an der Kreuzung Konstantinstraße/Brotstraße ankam, sah ich, dass die Brotstraße von dort an auch gesperrt war und die Bäckerei Die Lohners auch schon geschlossen hatte. Ich blieb an der Absperrung stehen, wurde unsicher und sah auch plötzlich, dass die Polizisten Maschinenpistolen hatten. Weird …

Das war der Punkt, an dem ich dann wirklich unsicher wurde und mich immer mehr fragte, was hier abgeht. Ich lief dann weiter die Johann-Philipp-Straße entlang in Richtung Kornmarkt, um zur Trier Galerie zu gelangen und sah, dass auch die Mayersche-Buchhandlung geschlossen war. Ich blieb aus Unsicherheit stehen und schaute auf meine Armbanduhr, die mir zu verstehen gab, dass wir eindeutig Dienstag haben. Also es ist definitiv ein Werktag... Oh! Es gab bestimmt einen plötzlichen Coronalockdown im Land! Das muss es sein!

Beim Abbiegen in die Fleischstraße sah ich, dass die Trier Galerie immer noch geöffnet war und war erleichtert, da ich ja zum Lebensmitteleinkauf in die Innenstadt ging. Und dass die Trier Galerie geöffnet hatte, erhärtete meinen Verdacht auf einen plötzlichen Lockdown, da sich dort der Rewe befindet und die Lebensmittelgeschäfte bei einem Lockdown erfahrungsgemäß geöffnet haben. Die vorherigen Polizeiabsperrungen ergaben aber immer noch keinen Sinn, und als ich durch die Fleischstraße durchblickte, sah ich an deren Ende – kurz vor dem Übergang zum Hauptmarkt –, dass dort ebenfalls eine Polizeiabsperrung vorhanden war.

Anstatt direkt zum Rewe zu gehen, ging ich unsicher, aber interessiert durch die Fleischstraße bis zur Polizeiabsperrung, um die dort anwesende Polizistin zu fragen, warum hier überall abgesperrt ist. Die Polizistin antwortete auf meine Frage, warum denn hier abgesperrt sei, sinngemäß mit "Die Beweissicherung läuft noch." Beweissicherung? Hä? Sie ging offenbar davon aus, dass ich – so wie die meisten – schon längst Bescheid wusste, aber dem war nicht so. Ich musste also erst einmal nachfragen, was denn passiert ist.

Polizistin (sinngemäß): "Ein SUV ist durch die Innenstadt gerast."

Als ich den Satz hörte, musste ich ihn erst kurz verarbeiten und schaute für einige Sekunden (auch aufgrund meiner generellen Unsicherheit) auf den Boden. Meint sie damit wirklich das, was ich gerade denke? Ich spürte, dass sich meine Kehle zuzog und ich brachte nur ein vermutlich komisch klingendes "Oh!" heraus. Sie sagte mir dann, dass sie mir noch keine Einzelheiten geben darf, aber im Internet könne ich mehr erfahren; es stünde schon in den Medien.

Ich kam mir dann ein bisschen doof vor, weil ich so uninformiert war, brachte noch ein kurzes "Heftig!" heraus und bedankte mich dann bei ihr. Dann ging ich (langsamen Schrittes) zum Rewe und dachte über das gerade Erfahrene nach. (Funktioniert habe ich bei so was immer schon.)

Während ich in Gedanken und von Einsamkeit durch das gerade erfahrene bedrückt durch die wie ausgestorben wirkende Trier Galerie marschierte, stellte ich fest, dass auch die dort ansässigen Konsum-Geschäfte geschlossen hatten, der Rewe jedoch noch geöffnet und von (wenigen) Kunden besucht war.

Gedanken und Gefühle, die mich daraufhin beschäftigten

Während ich durch die Trier Galerie ging, konstruierte ich (auch aufgrund der wenigen Informationen, die ich zu dem Zeitpunkt hatte) das Bild eines Terroranschlags und fragte mich, ob vielleicht noch weitere Täter in der Innenstadt herumlaufen. Ich glaube, das Bild der Polizisten mit Maschinenpistolen hat dazu beigetragen, denn das implizierte mir, dass immer noch Gefahr bestand. Mir kamen auch Gedanken an die Terroranschläge in Paris in den Sinn, was damals eine ganz dunkle Zeit für mich war, obwohl ich das nur durch die Medien verfolgt hatte.

Andererseits war mir aber auch klar, dass ich es nicht genau wusste und erst warten muss, bis ich wieder zuhause bin, um im Internet nachzugucken. Obwohl ich ein bisschen schwach auf den Beinen war, hatte ich keine Angst, denn wenn es tatsächlich ein Terroranschlag wäre, dann ginge es darum, Angst und Schrecken zu verbreiten – und diese Genugtuung würde ich den Terroristen nicht geben wollen!

Nachdem ich den Rewe betrat, in der Obst- und Gemüseabteilung stand und mich dabei zu erinnern versuchte, was ich eigentlich einkaufen wollte, kamen noch andere Kunden rein, von denen einer "Salam aleikum" sagte. Das war ein komisches Gefühl und ließ das zuvor an der Polizeiabsperrung erfahrene noch realer erscheinen. Dass so etwas (möglicherweise ein Terroranschlag) wirklich hier in Trier passierte (den selben Gedanken hatte ich auch, als die Polizistin mir das mit dem SUV erzählte)! So etwas passiert doch nur in anderen Städten, aber doch nicht hier in Trier, meinem Wohnsitz!

Obwohl mir auch vor dem Ereignis bewusst war, dass so ein Gedanke natürlich Blödsinn ist und es hier genau so passieren kann wie in anderen Städten, ist es dann doch nochmal etwas anderes, wenn man sich zum Einkaufen auf den Weg in die Innenstadt macht und dann erfährt, dass hier so etwas passiert ist (und man in dem Moment auch an einen Terroranschlag denkt).

Der Lebensmitteleinkauf im Rewe lief reibungslos ab (es waren auch deutlich weniger Kunden als sonst zu dieser Tageszeit üblich im Geschäft) und ich machte mich auf den Nachhauseweg. Dabei ging ich dann nochmal an den Polizeiabsperrungen an der Brotstraße/Konstantinstraße und beim Modehaus Marx vorbei und fühlte mich sehr einsam und traurig. Ich hatte das Gefühl, die Umgebungstemperatur wäre in der Zwischenzeit um einige Grad gesunken, denn mir war noch kälter als zuvor. Ich habe das Problem, dass mich solche Ereignisse emotional mitnehmen, so wie es auch bei den Terroranschlägen in Paris 2015 der Fall war. 😔

Am meisten wünschte ich mir (sowohl bei den Terroranschlägen in Paris und auch bei dem Vorfall hier), dass mich jemand in den Arm nehmen würde, mit dem ich darüber reden und den "Schmerz" teilen kann, obwohl ich ja selbst nicht direkt betroffen war und es nur passiv mitbekam, im Gegensatz zu den Opfern, Augenzeugen und Rettungskräften. Ich bin selbst aus anderen Gründen traumatisiert und weiß, wie es ist, wenn man niemanden hat, mit dem man den Schmerz teilen kann und der einem emotional Kraft und Wärme spendet. Dann ist alles noch schwerer zu ertragen, und deshalb hoffe ich, dass die Betroffenen und Angehörigen ein unterstützendes Umfeld und echte Freunde haben, die sie nicht im Stich lassen, weil es "nervig" wird.

Gedenkstätten in der Trierer Fußgängerzone

Wenn man nun durch die Trierer Fußgängerzone läuft, sieht man an verschiedenen Stellen kleinere und größere Gedenkstätten mit erleuchteten Kerzen, Stofftieren und anderen Gegenständen, die Betroffene, Angehörige und Passanten dort abgestellt haben. Auch Bilder der Opfer und deren Namen kann man dort sehen, die hier bewusst nicht genannt werden. Durch die vielen Kerzen, von denen manche durch Wind und Wetter erlöschen, riecht es ein bisschen wie in einer Kirche. Es bleiben auch hin und wieder Menschen stehen, von denen manche auch neue Kerzen anzünden oder Gegenstände ablegen. Für mich war es anfangs ein unwirkliches Gefühl, dort vorbei zu gehen und mir vorzustellen, dass dieser Vorfall genau dort passierte… Hm.

Der Autor

Hi. Ich bin Thomas. Hier veröffentliche ich in unregelmäßgen Abständen mehr oder weniger interessante Beiträge über Dies und Jenes, hauptsächlich über Computer und IT. Außerdem mag ich die Linux-Kommandozeile, vor allem wenn ich darauf mit (m)einer mechanischen Tastatur herumhacken kann. 😀